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Wildes Herz. Von Charly Hübner

Wildes Herz – ein leiser, ein genauer, ein berührender Film, der weit über ein Musikerportrait hinaus in eine Lebenswelt junger Menschen im bundesrepublikanischen Heute schaut. Von Heike Heinrich. Seit zwei Wochen in den Kinos. Im Mittelpunkt des Regiedebüts von Schauspieler Charly Hübner steht Jan „Monchi“ Gorkow, Jahrgang 1987, Frontmann  der mecklenburgischen Punkband „Feine Sahne Fischfilet“. Wer aus dem deutschen Nordosten kommt, weiß, das ist eine kulinarische Kuriosität, in Supermärkten gern in ovalen Plastikbüchsen verkauft. Man muss hart gesotten sein dafür. Es ist überhaupt noch eine Menge Osten in diesem Dokumentarfilm. Im Jahr 2016 geht „Feine Sahne Fischfilet“ auf Wahlkampftour und singt unter dem Motto „Wir sind noch nicht komplett im Arsch“ in Dörfern und Städten Mecklenburg Vorpommerns gegen den Rechtsruck im Lande an.

Dabei ist die Punkband inzwischen musikalisch in den Hitlisten der Republik angekommen. Zu Beginn des Jahres 2018 erschien das Album „Sturm & Dreck“, das eine Woche später Platz 3 der deutschen Charts erreichte. Der Sound hebt sich durch zwei Trompeter (Jacobus North und Max Bobzin) auch vom musikalischen Standard der Punkmusik ab und bietet interessante Liedvarianten. Um diese Wahlkampftour und um „Monchi“ Gorkow herum herzählen die Regisseure Charly Hübner und Sebastian Schulz  über Befindlichkeiten, über das Aufwachsen in einer abgehängten Region und darüber, wie Gewalt sich irgendwie in sinnfällige Aktionen umwandelt. Drei Alben von „Feine Sahne Fischfilet“ strukturieren auch thematisch diesen Film: „Wut im Bauch“, „Trauer im Herzen“ erschienen 2010, „Scheitern & Verstehen“ von 2012 und das Album „Bleiben oder Gehen“, 2015 erschienen, bilden Fixpunkte im Geschehen. Denn was die Band da verhandelt, bewegt auch die jungen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und dafür steht mit seiner Person und seinem bisherigen Leben Jan Gorkow.

So beginnt der Film mit Rückblicken in eine sorgenfreie, behütete Kindheit – Fotos, Familienfilme und Gespräche mit den Eltern –  und der Liedzeile „Was geht und was nicht, bestimmt das Gericht.“ Eine Erfahrung die „Monchi“ früh machen muss. Mit großer Offenheit erzählt er von jugendlichen Alkoholexzessen und seiner ersten Gewaltkarriere bei den Ultras von Hansa Rostock. Berührend wird es immer dann, wenn  er von seinen Eltern spricht und seiner Familie, die ihn auch in den schwierigsten Situationen nicht aufgeben. In dieser gewaltigen Brust wohnt nicht nur ein wildes Herz sondern auch eine große Seele. „Monchi“ Gorkow ist ein wütender aber auch sehr nachdenklicher junger Mann.

Wir begegnen also dem Jungen aus Jarmen – einem dieser ländlichen Orte, wie sie dieses Bundesland auch ausmachen –, der Fußball spielt, in die Junge Gemeinde geht und überhaupt nicht singen kann. Grundschullehrerin und Jugendpfarrer erinnern sich und doch gehen die Bilder der Kameras von Martin Farkas und Roman Schauert über die Betrachtung der Personen hinaus. Immer wieder wechseln große Nähe zu „Monchi“ und den Bandmitgliedern sich ab mit dieser landschaftlichen Weite, die nur ein Landstrich an Küsten haben kann. Auch die Bandmitglieder stammen aus Mecklenburg- Vorpommern und sie gelten als „gefährlichste Band“ des Bundeslandes, lange Zeit beobachtet vom Verfassungsschutz.  Was „Monchi“ und seine Musikerkollegen am Lagerfeuer erzählen, die Nähe, die durch Bilder und Gespräche entsteht, braucht großes Vertrauen. Charly Hübner und „Monchi“ kennen sich schon lange. 2015 entsteht zum Titel „Warten auf das Meer“ ein berührendes Musikvideo mit Hübner in der „Hauptrolle“ – eine Punkballade, die dieses Scheitern und Verstehen, von dem auch „Monchi“ immer wieder spricht in Worte, Töne und Bilder bringt.

Vieles ändert sich für die Band bereits in ihrer Anfangsphase, als immer mehr Neonazis ihre Konzerte besuchen und sich mit den Inhalten, die zunächst um sehr profane und gewaltverherrlichende Themen kreisen, identifizieren können. In der sozialen und politischen Situation des mecklenburgischen Landes müssen Entscheidungen fallen über den weiteren Weg der Band. Es sind Entscheidungen für eine klare politische Haltung und für gelebte Zivilcourage. „Monchi“ möchte keine Rassisten im Publikum, keine Faschos und Hetzer gegen Flüchtlinge. Hier gewinnt der Film an Intensität. Es kreuzen sich thematisch die mecklenburgischen Geschichten über Demmin, Anklam oder Rostock-Lichtenhagen, die in jüngeren Filmen wie „Über Leben in Demmin“ (Kameramann Martin Farkas zeichnet hier für Buch und Regie verantwortlich) oder „Wir sind jung, wir sind stark“ von Burhan Qurbani – ein sehr dokumentarisch angelegter Spielfilm aus dem Jahr 2014 aufgearbeitet worden sind. Das ist klug montiert und gekonnt mit aktuellen Bildern verwoben. Sebastian Schultz zeichnet auch für den Schnitt verantwortlich.

Bleiben oder gehen, „Monchi“ und „Feine Sahne Fischfilet“, die eine Scheune in Mecklenburg-Vorpommern ebenso rocken, wie eine große Musikfestivalbühne open Air, rufen immer wieder zum Bleiben auf. Gegenhalten, Rücken gerade auch wenn es „auf die Schnauze gibt“. Sie wollen nicht wegsehen, weghören oder weggehen. Im Gegenteil, „Ich könnte in keiner Großstadt leben, in Berlin oder so. Wo soll ich denn da Baden gehen“, sagt der gerade den Fluten der Ostsee entstiegene „Monchi“ Gorkow.

Überhaupt ist auch ganz viel Humor in dieser Geschichte, trocken, norddeutsch eben. Bei Konzerten von „Feine Sahne Fischfilet“ gilt „Niemand muss nüchtern sein“. Den beiden Regisseuren Hübner und Schultz gelingt es ganz großartig, keine Überhöhungs- oder Bewunderungsgeschichte zu erzählen. Auch wenn natürlich klar ist, dass es für Charly Hübner eine Herzensangelegenheit war, diesen außergewöhnlichen jungen Mann über die Fanbase von Punkfreunden hinaus, vielen Menschen nahezubringen und von dem zu erzählen, was er tut. Denn er ist das, was man einen Hoffnungsträger nennt. Trotz der Bilder von Gewalt beim Fußball, brennenden Polizeiautos und dem Slogan „Keiner muss Bulle sein“ oder gerade deswegen, stimmt dieser Blick auf das Engagement gegen rechts hoffnungsvoll. Kamera, Schnitt und Regie haben hier das Kunststück geschaffen, Nähe und Distanz für das Publikum in einer klugen Waage zu halten. Eben schüttelt man noch den Kopf und kämpft mit dem Entsetzen, da geht einem das Herz auf, wenn Monchi ein Flüchtlingsfußballturnier mitorganisiert, es moderiert und natürlich mit kickt. Da macht auch der mecklenburgische Landregen keine Probleme. Da wird mit den Klischees und dem Halbwissen aufgeräumt, dies sei vor allem das Bundesland mit den meisten Nazis und dem besten Wahlergebnis der AfD. Nein, es ist eben auch ein Bundesland mit viel Widerstand durch junge Menschen. Dabei wird an der Antifa nichts beschönigt. Dass jedoch bei den einschlägigen Erfahrungen, die diese jungen Leute mit der Polizei machen, das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik grundständig erschüttert ist, versteht man, obgleich es  betroffen macht.  Wie schon in „Deportation Class“ (dem preisgekrönten Dokumentarfilm von Hauke Wendler/Carsten Rau aus dem vergangenen Jahr) sieht auch Mecklenburgs Innenminister Lorenz Caffier (CDU) nicht so gut aus bei den Pressekonferenzen im Landtag. Zum Verfassungsschutzbericht und der Beobachtung von Feine Sahne Fischfilet wird peinlich rumgenuschelt. Grandios die Dankesaktion mit dem Pressesprecher des Ministers, dessen Tochter zum Konzert bei „Feine Sahne Fischfilet“ war. Man denkt sofort an einen anderen Protestslogan gegen Pegida und AfD  „Eure Kinder werden wie wir“.  Das ist wirklich großartig, wie all das aktuell verhandelt wird. Gorkow ist ein streitbarer, ein zerrissener junger Mann, der von einer großen Heimatverbundenheit getragen wird. Die Antifa-Bewegung ist ihm als Aufgabe zugewachsen – hier kanalisieren sich für ihn Wut und Trauer, Scheitern &  Verstehen. Hier klärt sich die Frage zu Bleiben oder Gehen von selbst.

Trotz Punk ist es ein erstaunlicher leiser und berührender Film, der sehr konzentriert erzählt, pointiert arbeitet und seine Bilder setzt.  Zum Schluss singt „Monchi“ mit seiner Band, Campino von den „Toten Hosen“, dem Rapper Marteria und 2000 Konzertbesuchern vor dem Bahnhof in Anklam „Wir bilden ein Kette, solange es brennt“. Man geht aus dem Kino und hofft, dass diese Kette hält.

Der Film gewann auf dem internationalen DOK-Filmfest Leipzig vier Preise, u. a. den DEFA-Förderpreis, den Preis des Goethe-Instituts und den ver.di-Preis. Ausverkaufte Kinos nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern dürften dem Film sicher sein.

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