Vor einem Jahr jährte sich der Tod des Studenten Benno Ohnesorg – ein wichtiges Datum der deutschen Nachkriegsgeschichte. Man könnte auch sagen: Der Tag, an dem 1968 begann. (ARD Alpha, Mi 25.04.2018, 21.00-21.15)
„Wie starb Benno Ohnesorg“, ein Film, eine minutiöse Rekonstruktion des Mordes vom 2.Juni 1967. So minutiös, wie die Ermittlung der Polizei hätte sein müssen. Doch die hatte es auf Vertuschung angelegt. Keiner der daneben stehenden Polizisten konnte sich noch an irgendwas erinnern. Der Kopf der Leiche von Benno Ohnesorg war brutal manipuliert worden, so dass die Schussentfernung nicht mehr rekonstruiert werden konnte. Dann der Freispruch gegen den Schützen, Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras. Dieses Verhalten der Polizei ist bis heute nicht aufgearbeitet. So lange kann sich Zeitgeschichte hinziehen.
Dieser 2. Juni 1967ist ein entscheidendes Datum bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte ist: Beginn der Radikalisierung der Studentenbewegung, Proteste gegen Regierungspolitik und Notstandsgesetze, gegen Vietnam, Ausgangspunkt für die Gründung der RAF, Beginn der Gewalt in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, und zwar ausgehend von der Staatsmacht. „Ein Schuss in viele Köpfe“ heißt es im Filmvon Klaus Gietinger, Margot Overath und Uwe Soukup und: „Der Tag, an dem 1968 begann“
Der Titel dieses Films sagt es schon: es geht um die genauen, die exakten Umstände des Todes von Benno Ohnesorg. Was geschah wirklich an diesem Tag, an dem der Schah in der Deutschen Oper die „Zauberflöte“ hören wollte und an dessen Vorabend Bahman Nirumand im Audimax der Freien Universität einen offenbar sehr eindrucksvollen Vortrag über das Repressionsregime des Schah und dessen Geheimpolizei Savak gehalten hatte; auch Otto Schily erinnert sich sehr genau.
Die Rekonstruktion geht minutiös vor. Von den prügelnden Jubelpersern vor der Oper, von der Leberwurst-Taktik der Polizei (in der Mitte hineinstechen und an den Enden ausdrücken), von den zivilen Greifern der Polizei, die sich angebliche Rädelsführer aus der Masse der demonstrierenden Studenten herausgriff, von der Flucht einiger Demonstranten in einen Hof in der Krumme Straße, in dem dann die tödlichen Schüsse fielen. Abgegeben hatte sie Karl-Heinz Kurras, als einer der Greifer aktiv. Am Ende schließlich das Urteil, der skandalöse Freispruch. „Das Gericht hat nicht verurteilen wollen“ urteilt einer der Zeitzeugen.
Minutiös recherchiert sind auch die Materialien, mit denen der Film aufwarten kann. Eine Reihe von Zeitzeugen, die bisher nicht vor einer Kamera aufgetaucht waren. Ein 17-Jähriger, der alles mit angesehen hatte, aber nicht ernst genommen wurde. Ein 8-Jähriger, der aus einer Wohnung alles sah, aber als Zeuge nicht in Frage kam. Natürlich sind auch bekannte Zeitzeugen dabei wie Otto Schily, der den Vater von Benno Ohnesorg als Nebenkläger vertrat – sein erster politischer Prozess und gewiss prägend für seinen weiteren politischen Weg.
Dazu auch bisher unbekanntes Filmmaterial, etwa eine kleine Sequenz, die Kurras auf dem Weg zum Mord mit der Pistole in der Hand zeigt. Die Szene ruhte viele Jahre lang unerkannt in dem bekannten Dokumentarfilm „Polizeistaatsbesuch“ von Roman Brodmann. Ein BKA-Beamter entdeckte sie 43 Jahre später beim Digitalisieren – womit sich das BKA so befasst, erstaunlich.
Der Film ist sehr dicht gewebt, chronologisch erzählt. spannend wie ein Thriller, obwohl man die Ereignisse eigentlich kennt. Er erweckt die bekannten enigmatischen Bilder noch einmal zum Leben. Der bekannte Dokumentarfilmer Thomas Giefer war damals mitten unter den Demonstranten, der einzige mit einer Kamera (heute unvorstellbar). Für ihn auch ein Wendepunkt im Leben. Aus dem Kunststudenten wurde ein Dokumentarist, für den die Kamera „eine ganz kleine Waffe gegen die große Macht der Medien wurde“.
Im Zentrum steht vor allem der Polizeiskandal und dabei einiges, was man bereits vergessen oder nie gewusst hat. Etwa dass die Berliner Bereitschaftspolizei nicht nur von alten Nazis durchsetzt war, sondern im Kalten Krieg aufgestellt war wie eine moderne Berufsarmee, die militärisch agierte, mit Maschinengewehren und Bazookas trainierte. Eine Polizei, deren Chef Erich Duensing mit der Leberwurst-Taktik auch ein Exempel statuieren wollte. Duensing, einst Generalstabsoffizier der Wehrmacht, leitender Polizeioffizier, zunächst Kommandeur der Schutzpolizei, seit 1962 als Polizeipräsident. Er hatte ehemalige Gestapo-Leute, SS- und Wehrmachtsoffiziere um sich versammelt.
Eingebaut in die Chronologie der Ereignisse sind zwei Kurzporträts der beiden Antagonisten Ohnesorg und Kurras. Über Benno Ohnesorg spricht etwa sein Sohn Lukas, der seinen Vater nie kennengelernt hat. Er habe nie erfahren dürfen, „was aus ihm hätte werden können“. Andere Zeitzeugen charakterisieren Benno Ohnesorg als ruhigen, pazifistisch gesinnten Studenten, literarisch interessiert, alles nur kein „Krawallmacher“, wie die Polizei später wider besseres Wissen verbreiten ließ. Dann Kurras, ein Waffennarr, der im Prozess und den Rest seines Lebens immer nur log, auch als erwiesen war, dass er Ohnesorg durchaus bewusst erschossen hat – und die herumstehenden Polizisten das wussten. Auf einem Tonband ist zu hören, wie der damalige Einsatzleiter schreit: „Kurras zurück. Schnell weg.“ Dass 2009 herauskam, dass Kurras für die Stasi arbeitete (was zu dem Mord an Ohnesorg in keinem Zusammenhang stand), fügte noch einmal einen bizarren Aspekt dazu.
Sehr dicht, konzentriert – was aber auch inhaltlich eine Schwäche des Films ausmacht. Das gilt vor allem für die Revolte der Studenten, die hier aussieht, als sei sie aus dem Nichts gekommen. Aber die Notstandsgesetze waren schon seit längerem in der Mache der Großen Koalition und die Antinotstands-Kampagne der Studenten auch, und nicht nur der Studenten. Es war also, als der Schah nach Berlin kam, schon einiges zusammengelaufen, was dann am 2. Juni seinen Ausdruck und seine Beschleunigung fand.
Margot Overrath, eine der Autorinnen von „Wie starb Benno Ohnesorg“, hat aus dem Stoff für die ARD auch noch ein Hörfunkfeature „Benno Ohnesorg. Chronik einer Hinrichtung“ vorgelegt. Es konzentriert sich vor allem auf den Polizeiskandal, verwendet viele mit den Filmen identische O-Töne, hat aber auch einen interessanten O-Ton vorzuweisen. Ein Geständnis nämlich von Kurras, das der Buchautor Uwe Soukup heimlich aufgenommen hat: „Ich hab auch das Recht, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen“ hört man Kurras sagen, „hab ich auch das Recht. Ich hätte rin halten sollen, dass die Fetzen geflogen wären. Ja? Nicht nur dreimal, fünf-, sechsmal hätte ich hinhalten sollen“