Eine Reise durch Europa und eine Zeitreise durch europäische Geschichte. Ein politischer Film, der zeigt, wie wichtig auch Ironie sein kann. In„Titos Brille“ erzählt Regina Schilling die Geschichte der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Adriana Altaras. (ARD-Alpha, 28.04.2018, 21.45-23.15)
Ihre Geschichte hat Adriana Altaras einige Jahre zuvor schon in einem Buch veröffentlicht. Also nicht unbedingt ein Originaltoff und in diesem Sinn eine Nachverfilmung. Das hätte auch ziemlich schief gehen können. Ist es aber nicht. Weil die Protagonistin eine Figur ist, die über erheblichen Mutterwitz verfügt, jüdischen Witz, über die Gabe verfügt, sich selbst ironisch zu sehen. Weil sie auch eine ist, die nicht alles akzeptiert, was ihr die Geschichte des 20. Jahrhunderts in den Lebenslauf gelegt hat und die doch am Ende davor kapitulieren muss.
Die Filmemacherin begleitet ihre Protagonistin auf eine Reise durch Europa, in den Balkan, auf eine Reise durch die Zeit, entlang der Stationen einer Familie. Erst nach Gießen, wo der Vater ein berühmter Chirurg war. An der Uni hat man ihm ein absurdes Denkmal in Erinnerung an die Technik der Darmspiegelung hingestellt. Dann in die Länder des ehemaligen Jugoslawien, wo ihre Eltern herkommen und wo sie die wichtigste Zeit ihres Lebens als Partisanen verbracht haben und gegen die faschistische Ustascha kämpften.
Aus dieser Zeit stammt auch der Titel des Films. Der Vater hat immer erzählt, er sei Leibarzt von Tito gewesen und habe ihm einmal eine zerbrochene Brille repariert. Bis die Autorin entdeckt, dass Tito zu dieser Zeit gar keine Brille getragen hat. Familienlegenden. Wahrheiten, Hoffnungen, Träume, Realitäten und bittere Entscheidungen, das ist der Stoff, aus dem Erzählungen von Adriana Altaras sind. Auch wenn die Autorin sich gern vor der Kamera sieht und aus ihrer Profession heraus natürlich auch weiß, wie man sich davor wirkungsvoll bewegt, verfügt sie dennoch über genügend Distanz, dass aus dieser Familiengeschichte ein historisches Bild auftaucht, voller Widersprüche, Verwerfungen, Brüche.
Über den Szenen liegt die Melodie des alten Partisanenlieds „Bella Ciao“, in der optimistischen Version der Partisanenzeit und der melancholischen der Gegenwart. Und mitten im Akt der Befreiung von den elterlichen Heldenlegenden ist jener Moment besonders intensiv, als die Protagonistin auf dem Gelände des Konzentrationslagers auf der Insel Rab sitzt, wo ihre Mutter inhaftiert war. Da hat der jüdische Witz keinen Platz mehr, es ist eine Zeit für Tränen und Einsicht in die Unumkehrbarkeit des Lebens.
Das alles ist ungemein schön erzählt, ironisch, traurig, bewegend. Auch im Treffen mit alten Freunden der Familie und ihren diversen Erinnerungen, wird Geschichte sichtbar als etwas, das mehr Trümmerfeld ist als ordentlicher Verlauf, mehr Fragment als komplettes Bild. Unbedingt ansehen.