Mit einer Ohrfeige begann der Kampf von Serge und Beate Klarsfeld gegen das Vegessen. „Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit. Das Leben von Serge und Beate Klarsfeld“ nennen Wolfgang Schoen und Frank Gutermuth ihren Film über die beiden Widerstandskämpfer. (HR, Do 26.04.2018, 23.15-00.00)
Es begann mit einer Ohrfeige. Auf dem 16. Bundesparteitag der CDU 1968 näherte sich Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kiesinger auf der Tribüne von hinten, wollte ihn an der Backe treffen, traf ihn am Auge, wurde von der Bühne geholt und erstmal verhaftet. „Die Ohrfeige der jungen Generation“ nannte sie das später. Die Attacke machte Schlagzeilen. Damit verhalf sie der Information an die Öffentlichkeit, dass Kurt Georg Kiesinger in der Nazizeit im Propagandaministerium in führender Stelle mitgearbeitet hatte. Mit der Ohrfeige begann der Kampf der Klarfelds gegen Vergessen und für Gerechtigkeit, der bis heute weitergeht.
„Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit“ nennen Wolfgang Schoen und Frank Guthermuth ihren Film über das deutsch-französische Ehepaar Serge und Beate Klarsfeld, ein besonderes Ehepaar und eine besondere Liebesgeschichte. Es war Anfang der 60er Jahre in Frankreich nicht unbedingt opportun für einen Franzosen, sich in eine Deutsche zu verlieben. „Man heiratet die Frau, die man liebt“ sagte Serge Klarsfeld lakonisch.
Arte strahlte den Film aus als Teil des Themenabends zum Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Er funktioniert wie eine historische Lehrstunde. Es ist schon lehrreich, in den Filmdokumenten die verächtliche und herablassende Reaktion von Kurt Georg Kiesinger zu sehen. „Wenn ich schon diese Visagen sehe“, tönte er auf einer Wahlkundgebung, sprach von Radaubrüdern und warf Beate Klarsfeld vor, sich mit Material aus der DDR munitioniert zu haben – damals, im Kalten Krieg, ein Totschlagargument.
Wie das freilich in TV-Geschichtsschreibung so ist, fällt die Darstellung auch verkürzt aus. Die Ohrfeige erscheint wie eine Initialzündung, wie eine spontane Aktion, die erst alles offenbarte. Tatsächlich war damals über die Nazi-Vergangenheit des Bundeskanzlers schon monatelang vorher öffentlich diskutiert worden und Beate Klarsfeld hatte die Ohrfeige auch schon mehrfach öffentlich angekündigt. Es ging nicht um Aufdeckung, es ging um Wahrnehmung. Später wird Beate Klarsfeld sagen: „Um einen Skandal aufzudecken, muss man mit einem Skandal antworten“.
Tatsächlich hat das Ehepaar mit dieser Technik über viele Jahre hinweg viel erreicht. Sie scheinen arbeitsteilig vorgegangen zu sein: die Aktivistin und der Rechercheur. Was sie geleistet haben, so zeigt der Film, kann man am besten daran erkennen, was alles nicht oder später oder anders geschehen wäre, wären sie nicht aktiv geworden.
Das deutsch-französische Auslieferungsabkommen von 1975 etwa. Die Klarsfelds hatten Anfang der 70er herausgefunden, dass einer der Hauptverantwortlichen für die Deportationen von 80.000 französischen Juden, Kurt Lischka, unbehelligt in Deutschland lebte. In Frankreich war er schon verurteilt, wurde aber von der BRD nicht ausgeliefert. Erst Jahre später, als Folge des innenpolitischen Drucks im Fall Lischka, das Abkommen geschlossen war, konnte es 1979 zum Prozess kommen.
Oder die Rolle der Vichy-Regierung im nicht besetzten Teil Frankreichs, deren Polizei und Gendarmerie zwei Drittel der deportierten französischen Juden auslieferten. Ein Handlanger etwa war Maurice Papon, der als hoher Beamter des Vichy-Regimes für die Judentransporte verantwortlich war, im Nachkriegsfrankreich Karriere machte, unter Giscard d’Estaing sogar Minister war. Die Klarsfelds brachten seinen Fall in die Öffentlichkeit, aber von der ersten Anklage bis zum großen Prozess sollte es noch 16 Jahre dauern. Mitterand wollte diesen Prozess unbedingt verhindern, dass es dennoch dazu kam ist nur der Hartnäckigkeit der Klarfelds zu verdanken. Und dabei ging es nicht nur Papon, sondern viel grundsätzlicher um die verdrängte Frage der Kollaboration. In diesem Sinne haben die Klarfelds auch Geschichte neu geschrieben.
Oder, drittes Beispiel: Noch 1979 wusste man in Frankreich weder, wie viele Juden eigentlich deportiert wurden noch kannte man ihre Namen. Serge Klarsfeld entdeckte 1991 die sogenannte Judenkartei, an der konnte man das Schicksal ganzer Familien nachverfolgen, es sind oft die letzten Zeugnisse ihrer Existenz. Die Klarfelds brachten ein Buch heraus, in dem alle 80.000 Namen verzeichnet waren und das erst brachte wiederum vielen jüdischen Familien Gewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen.
Drei von einer ganzen Reihe von Beispielen aus einem politischen Leben, das ganz dem Kampf gegen das Vergessen und Verdrängen gewidmet war und ist und für das die geläufige Titulierung „Nazi-Jäger“ eigentlich sehr verkürzt ist. Dazwischen scheint im Film auch noch ein wenig Familienleben auf, das für die Kinder durchaus anstrengend gewesen sein muss. Die Familie, so der Film, soll aber dennoch ein Rückhalt für die Klarfelds gewesen sein. Die Tochter mischt sich nicht in die Politik, wohl aber Sohn Arno, der nicht nur das Lebenswerk seiner Eltern weiter führt, sondern auch als Politiker in der israelischen Politik arbeitet. Der Schwerpunkt des Films liegt aber nicht im Privaten.
Formal gesehen unterscheidet er sich freilich nicht von vielen anderen Dokumentationen. Man könnte ihn sich auch schlanker und pointierter vorstellen. Über die historischen Bild-Sequenzen ergießt sich eine dicke Musik-Sauce, dazu viel, sehr viel Kommentartext. Natürlich muss man in diesem Fall erklären, raffen, kommentieren. Aber das ist wieder einer der Kommentare, der alles zuerst und alles besser weiß, die Zuschauer bevormundet und ihnen eine Vorlesung halten will.
Begonnen hat es mit einer Ohrfeige. Die Autoren arbeiten heraus, dass die Klarfelds lange als Störenfriede galten, als Außenseiter, als Nestbeschmutzer. Lange hat es gedauert, bis ihre Lebensleistung als Aufklärer anerkannt wurde, 2015 mit dem Bundesverdienstkreuz. Das hätten sie freilich auch schon früher bekommen können, aber das zuständige Außenministerium sowohl unter Fischer wie unter Westwelle hatte abgelehnt.