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„Buena vida – Das gute Leben“ Von Jens Schanze

Hier Tamaquito, ein kleines Dorf in Kolumbien, unter dessen Boden Kohle liegt. Da Cerrejón, einer der weltgrößten Tagebaue, der die Kohle haben will. Das kann nicht gut gehen. Und am Ende die Frage: für wen das gute Leben? Und der Konzern Clencore spielt hier eine große Rolle – das Unternehmen ist grade mit den „Paradise Papers“ in öffentliche Aufmerksamkeit gerückt (Phoenix, 26.04..2018, 03.00-04.30) Jens Schanze hat sich schon zweimal damit beschäftigt, was Kohletagebau anrichtet mit der Landschaft, den Dörfern, die er verschwinden lässt, den Friedhöfen, die er unterpflügt, den Menschen, die er entwurzelt. „Otzenrather Sprung“ und „Otzenrath 3 Grad kälter“ hießen die beiden preisgekrönten Filme. Sie spielten im rheinischen Braunkohlerevier.

Mit seinem Film „Buena vida – Das gute Leben“ ist er zu diesem Thema zurück gekehrt, nur viel weiter weg, nach Kolumbien, das zu einem der größten Kohleexporteure der Welt geworden ist. Und es ist in Tamquito wie es in Otzenrath war, nur viel härter, viel brutaler, viel größer dimensioniert. Auch in Deutschland verlieren die kleinen Dörfer gegen die Kapital-Politik-Macht, sie müssen sich arrangieren, es muss irgendwie weiter gehen, wenn auch drei Grad kälter.

In Tamaquito aber geht es eigentlich nicht weiter. Dabei haben die Einwohner vom kleinen Stamm der Wayúu sich nicht einfach so über den Tisch ziehen lassen. Sie haben für ihre Interessen gekämpft. Sie haben einen Anführer, Jairo Fuentes, der stolz ist und klug. Sie wissen, wenn sie schon umgesiedelt werden, brauchen sie Wasser. Unbedingt Wasser. Trinkwasser, Wasser für ihre kleinen Landwirtschaften. Es wird zäh gerungen. Sie lassen sich nicht mit Versprechungen einlullen. Es muss im Vertrag stehen: Wasserleitungen, zwei Teiche für Fischzucht, ständige Kontrolle der Wasserqualität durch den Konzern, Soforthilfe im Störungsfall. Irgendwann knickt der Konzern vor der Starrköpfigkeit der Dörfler ein, dann steht alles im Vertrag, der wird unterschrieben, das Dorf zieht um.

Früher verfuhr man so umständlich nicht. Da wurden im Weg stehende Eingeborene einfach mit Militär verjagt. Jetzt wird verhandelt, ausgehandelt, in Projekte eingebunden. Aber das Ergebnis ist das gleiche. Der Konzern betrügt die Einwohner einfach. Er hält seine Versprechen nicht. Die Wasserleitung taugt nichts, die Teiche werden nicht gebaut, die Frauen haben jetzt zwar einen Gasherd in den festen Häusern, aber kaum Wasser zum Kochen und anbauen lässt sich die diesem staubigen Fleck Erde schon gar nichts. Und die Beauftragten des Unternehmens, die die Dörfler zuvor mit Workshops und Vermarktungskonzepten geradezu überrannten, sind nun nicht einmal mehr auf dem Handy erreichbar.

Eigentlich eine ganz einfache Geschichte aus dem globalisierten Kapitalismus. Jens Schanze erzählt sie auch als eine einfache Geschichte, eine mit schwer melancholischem Unterton, denn eigentlich ist von Anfang an klar, wer hier verlieren wird. Böris Weiffenbach, der schon in den Otzenrath-Filmen die Kamera geführt hatte, tut dies auch hier in der gewohnt ruhigen Weise. Seine Bilder vom Leben im Dorf, von den Versammlungen, von der Landschaft, vom Fischen im Fluss sind ruhig und selbstverständlich, ohne Mätzchen und Effekte. In ihnen steckt das „Buena vida“ aus dem Titel. Das gute Leben, es könnte eines sein im gerichteten Verhältnis von Mensch und Natur. Eines, in dem es ehrlich zugeht und man sich auf Zusagen verlassen kann.

Kein Kommentar, keine Erklärung aus dem Off zerreißt diese Erzählung, dieses Lehrstück, dem man in der unausweichlichen Entwicklung nachfolgen kann, immer mit der Chance auf die eigene Idee, die eigene Beobachtung, den eigenen Gedanken. Mit ein wenigen Zahlen gibt der Film aber auch Nachdenkhilfe: 100.000 Tonnen Kohle täglich fördert das Unternehmen, das meiste geht nach Deutschland, Holland, Israel. Ganz so weit ist Tamaquito also doch nicht entfernt.

Der ungleiche Kampf konnte, wie gesagt, nicht gut ausgehen. Als Cerrejón nicht reagiert, fliegt Jairo in die Schweiz, zur Jahresversammlung des Rohstoffkonzerns Glencore, dem ein Drittel der Kohlemine gehört. Seinen Aktionären preist der Vorstand an, man sorge 24 Stunden am Tag dafür, dass die Menschen es warm und hell haben. Als Jairo ans Rednerpult tritt und fordert, dass das Unternehmen in Kolumbien seine Zusagen einhalten solle, wird er schnell unterbrochen, er solle hier nur Fragen stellen, keine Rede halten.

Bis dahin haben wir auch schon gesehen, wie der Personalverantwortliche von Cerrejón den Filmemachern zeigt, wie das Unternehmen in Kolumbien seine Angestellten leben lässt: eine ruhige Kamerafahrt entlang von Einfamilienhäusern, Swimmingpools, Golfplätzen, das Auto unterm Carport. Ein schreiender Widerspruch, ein stiller Zynismus.

Währenddessen fährt Jairo unverrichteter Dinge zurück, aus dem Zugfenster sieht er in die geordnete Schweizer Häusle-Welt , in der es an nichts fehlt. Wenn Kolumbien nicht so weit weg wäre – man könnte sich vorstellen, dass auch die Waayú mit ihrem Anführer Jairo sich auf den Weg machten übers Mittelmeer, so wie auch ihresgleichen. Wie Fischer aus Westafrika, denen die Industrietrawler das Meer leergefischt haben oder wie Bauern aus Ostafrika, die ihre Hühnerzucht aufgeben mussten, weil Europa das Land mit billigem tiefgefrorenen Hühnerschenkeln überschwemmt.

 

 

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