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Parchim International. Von Stefan Eberlein und Manuel Fenn

Das Provisorium von Tower am Flughafen Schwerin-Parchim steht jetzt auch schon bald 25 Jahre. Der Scheinwerfer auf dem Dach dreht sich wohl schon genau so lange und man hört es auch. Er knirscht. Sand im Getriebe. Zwar steht daneben auch schon ein neuer Tower, aber in dem arbeitet niemand. Es landet ja auch kaum ein Flugzeug in Parchim. Und das soll eine Geschichte sein? Noch in den Mediatheken von ARD und NDR Das ist eine Geschichte und was für eine. Eine Geschichte von Globalisierung, von Entwicklungsfantasie, von Träumen und von Großsprecherei, eine Geschichte, wie man sich an noch so absurde Hoffnung klammert, wenn einem sonst nichts einfällt, eine Geschichte von Hoffnung und Enttäuschung, womöglich eine Geschichte, die noch hundert Jahre angeht. Eine Geschichte, die man nicht erfinden kann. Nur finden.

„Parchim International“ heißt der Film von Stefan Eberlein und Manuel Fenn. Und dass dieser sachliche Titel die blanke Ironie ist, merkt man erst, wenn der Film schon läuft. Es geht um den Flughafen in Parchim bei Schwerin, den lange Jahre die sowjetischen Streitkräfte in der DDR benutzten. Seit 1993 wird hier ab und zu gestartet und gelandet, ein wenig genutzter Regionalflughafen, mal ein paar Urlauber, nichts Spektakuläres – bis der Investor aus China kam, Herr Pang. Seine Visionen waren riesig. Er will ein internationales Drehkreuz für Frachtflugverkehr bauen. Zehntausende Arbeitsplätze in der Region, nein, eine Million, nein zehn Millionen. Ein Weltflughafen, ein Weltwarenlager, Hotels und ein Spielkasino und ein riesiges Handelszentrum mit 6000 bis 7000 chinesischen Händlern. Und alle hören ihm zu. Sie glauben ihm, weil sie ihm glauben wollen und vielleicht glauben müssen, weil sonst nichts geht in der Region.

Und, was noch verrückter ist, Herr Pang scheint das selbst alles zu glauben. Er hat allerdings einen chinesisch gestörten Wirklichkeitssinn, einen nicht geerdeten Möglichkeitssinn. Er ticke anders, sagen die Leute. Wenn er „jetzt“ sagt, meint er eigentlich „bald“ und „bald“ – das kann dauern. Einige Male begleitet die Kamera Herrn Pang auch nach Peking und Shangai, dort ist alles riesig und alles scheint schnell zu gehen. Man versteht ein wenig, warum Herr Pang denkt, alles müsse sehr groß sein.

Herr Pang hat auch ständig neue Einfälle und lässt sich nicht unterkriegen. Plötzlich fällt ihm ein, chinesische Fischunternehmen könnten doch auf einem der vielen Seen hier in Mecklenburg-Vorpommern Fischzucht betreiben, 50 Tonnen Krebse jährlich rausholen. Der Fischer, der grade täglich einen Eimer erntet, kann da nur den Kopf schütteln. Er glaubt nicht daran. Der Lotse im Behelfstower schaut sehnsüchtig auf den neu gebauten Tower, in dem er noch nicht arbeiten darf und sagt, er habe gelernt,sich in Geduld zu üben.

„Parchim international“ ist ein absurdes Lehrstück über Globalisierung, eine traurige Komödie. Hoffnungen kommen und gehen. Der Handelsvermittler, der als erster vor Ort sein wollte und es gar nicht erwarten konnte, streicht nach drei Jahren die Segel und verlässt sein kleines Büro im Plattenbau: es wurden nicht für einen Cent Waren transportiert. Einmal sieht man einem Piloten zu, wie er ins Flughafen-Büro kommt, er meldet Touch-and-go an, das kostet ihn etwas mehr als 10 Euro Gebühren. Und dann sieht man, wie eine kleine Maschine auf dem Rollfeld aufsetzt, durchstartet und wieder abhebt. Ein Weltflughafen. Den Rasen neben der Rollbahn schneidet die Freiwillige Feuerwehr, weil die sonst auch nicht viel zu tun hat. Freilich stellt sich bald heraus, dass die Rollbahn komplett erneuert werden müsste, für einige Millionen. Herrn Knan, dem bayrischen Projektleiter und Stellvertreter Pangs in Parchim, treibt das den Schweiß auf den Stirn. Herr Pang sagt: „Es ist, wie es ist“.

Herr Pang ist so etwas wie ein chinesischer Felix Krull. Ein Betrüger? Ein Träumer? Einer der nur Pläne hat, aber das Geld dafür nicht, auch keinen Businessplan und Genehmigungen schon gar nicht. Aber auch einer, der in sein Heimatdorf zurückkehrt, seine alte Mutter besuchend. Er bringt Geld mit, sie kann damit gar nicht viel anfangen, sie arbeitet, krumm und alt wie sie ist, immer noch auf dem Feld. Und Herr Pang erinnert sich, dass er in Nigeria war, ein neues Flugbusiness aufzubauen, als sein Vater starb. Da stand er vor der Wahl, Vater oder Business und er entschied sich fürs Business. Er weint.

Es gibt viel bizarre Szenen in diesem Film. Eine der bizarrsten, als eine Delegation aus China mit einer Delegation aus Nigeria in Parchim zusammentrifft, wieder mal das internationale Drehkreuz beschworen wird, Herr Pang betreibt auch eine Verkaufsagentur für diverse Airlines von Air China bis Air Nigeria und alles wird so ernst vorgetragen und man wartet immer auf das Kind, das auf den nackten Kaiser zeigt, aber es kommt kein Kind und keiner lacht und so geht alles immer weiter den Bach runter. Genau genommen nicht einmal das, denn der Bach hat ja noch nicht einmal Fahrt aufgenommen. Es wurde viel geredet und es geschah nichts. Der Film zeigt das in eindrucksvollen Bildern des Stillstands und des Nichtgeschehens. Hasen hoppeln über die Landebahn, die Feuerwehr kehrt den leeren Hangar und der Himmel ist blau.

Aber Herr Pang, und damit entlässt uns der Film, glaubt immer noch an das Projekt. Eben hat er sich mit einem Finanzberater getroffen, der hat ihm abgeraten, Lager koste nur Geld, Warenhaltung koste nur Geld, er solle lieber gleich mit Geld handeln. Das lässt Herrn Pang kopfschüttelnd zurück. Sein Blick wirkt etwas leer. Man wüsste gern, ob derzeit in Parchim immer noch auf Flugzeuge gewartet wird.

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