Permalink

0

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass

dass begriffliche Schärfe nicht schaden kann, wenn man wissen will, worüber man redet. Zum Bespiel im Umgang mit dem Lego-Wort Doku.

Dokus sind allüberall. In diese Begriffskrücke wird alles eingepackt, der lange Autorendokumentarfilm ebenso wie das Nachmittagstierfilmchen Jetzt hat eine Autorin der Filmzeitschrift in einem Beitrag für die Filmzeitschrift revolver darauf hingewiesen: „Ein Dokumentarfilm ist keine Dokumentation. Es ist erstaunlich, dass so wenige Journalisten die Unterschiede zwischen den verschiedenen Genres des Dokumentarischen kennen. Die meisten nennen den gestrigen Berlinale-Gewinner eine Dokumentation, es ist aber ein Dokumentarfilm. Eine Dokumentation ist eine schnell gefilmte, schnell geschnittene, journalistische Betrachtung. Ein in jahrelangem Suchprozess gedrehter, ohne im Vorfeld festgelegtes Aussageziel erarbeiteter, künstlerisch unabhängiger Film ist ein Dokumentarfilm. Die Linie zwischen den Genres zu verwischen, spielt dabei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern in die Hände. Diese verschleiern mit der Behauptung, man zeige doch jede Menge Dokumentationen, die Tatsache, dass sie den Dokumentarfilm faktisch abgeschafft haben.

Es sind die Programmmacher selbst, die sich um Unterschiede nicht scheren. So gab die ARD zur Präsentation ihrer „Top of the Docs“ eine Pressemeldung heraus, in der sie sich in der Überschrift als „starker Partner des Dokumentarfilms“ selbst lobt, im Text selbst aber fast ausschließlich von Dokumentationen spricht. Auch in den Zitaten der ARD-Vorsitzenden, MDR-Intendantin Karola Wille und von Programmdirektor Volker Herres ist nur von Dokumentationen die Rede. Und dann trumpft die ARD noch mit einer großen Zahl auf: „ Im vergangenen Jahr wurden im Ersten 870 neuproduzierte Reportagen und Dokumentationen ausgestrahlt, mit einer großen Themenvielfalt und Bandbreite. Auf das Jahr umgerechnet sind das zwei Premieren pro Tag“. Nun weiß jedes Kind, dass absolute Zahlen nur einen relativen Wert haben, solange man ihre Randbedingungen nicht kennt. Wolfsiehtfern wird mit den bescheidenen Bordmitteln der Frage nachgehen, was hinter dieser Zahl steht. Viele Dokumentarfilme sind, das zeigt schon der wöchentliche Überblick über das TV-Programm, jedenfalls nicht dabei. Demnächst mehr.

Hat das Fernsehen den Dokumentaristen inzwischen ihre Arbeitshaltung versaut? Diese These vertritt der französische Regisseur Francois Margolin. Er hat einen Film über Salafisten („Les salafistes“) gedreht und musste sich den Vorwurf anhören, er spiele den islamischen Fundamentalisten in die Hände, weil er sie kommentarlos reden lasse. Der Regisseur sieht das anders: „Mit der Idee, dass ein Film Kommentare brauche, fallen wir fünfzig Jahre zurück. Die größten Dokumentarfilmer (Depardon, Lanzmann, Frederick Wiseman, Jean Rouch) fügen ihrer Arbeit keinen Kommentar dazu. Es ist, als hätte das Fernsehen die Köpfe derartig deformiert, dass man es nicht mehr erträgt, wenn der Journalist nicht sagt, was man denken soll. Das ist eine intellektuelle Regression, die mich empört“. Das ganze Interview mit Francois Margolin:

Rüdiger Suchsland hat sich in seinem Berlinale-Tagebuch auch einige Dokumentarfilme angesehen, den Preisträgerfilm natürlich auch und kommt zu dem Ergebnis: „Dokumen-tarfilm kann viel mehr als abbilden, in den besten Fällen handelt es sich um eine kunstvolle Entfaltung der Wirklichkeit.“

Der Verbreitungswege für Dokumentarfilme sind viele. Spiegel-TV, wo sonst nur journalistische Arbeiten laufen, hat jetzt den Dokumentarfilm „Geschlossene Gesellschaft“ zugänglich macht. Der Film von Lucia Schmid und Regina Schilling arbeitet den Skandal an der Odenwaldschule auf und liefert damit zugleich auch ein Gesellschaftsporträt. Die Autorinnen bekamen 2012 den Grimmepreis.

Kommentare sind geschlossen.