„Dieselben Menschen in Deutschland, die feuchte Augen bekommen, wenn ein alter Indio in den Anden zum tausendsten Male ‚El cóndor pasa‘ in seine Panflöte bläst, kriegen Pickel, wenn man sie auf die Melodien ihrer Heimat anspricht.“ Das sagt im Film „Sound of Heimat““ ein neuseeländischer Musiker, ehe er aufbricht auf eine Suche nach der Volksmusik jenseits des Musikantenstadl (HR, So 06.10.2105, 01.35-03.05)„Sound of Heimat“ von Arne Birkenstock und Jan Tengeler gibt im gemischtsprachigen Titel schon kund, dass es um einen verfremdenden Außenblick auf die Praxis der Volksmusik gehen soll. Den liefert der Jazzsaxophonist Hayden Chrisholm, kommt aus Neuseeland, lebt in Köln und will wissen, was es mit der deutschen Volksmusik auf sich hat. Er zieht von Köln aus los, kommt durch Bayern, Franken, ins Erzgebirge und schließlich nach Flensburg. Dazwischen macht er noch Station in Buchenwald und lässt sich von dem ehemaligen Häftling, Wladyslaw Kozdon erzählen, dass die Lagerinsassen, wenn ein geflohener KZ-Häftling zurückgebracht wurde, auf dem Appellplatz „Alle Vöglein sind schon da“ singen mussten.
Insgesamt liefert dieses Road-Movie eher Querschnitt denn historische Perspektive. Denn die erste Welle der Wiederentdeckung der demokratischen Traditionen des Volkslieds kam schon mit den Nach-Achtungsechzigern, Liederjan etwa, die im Film auch vorkommen, oder Zupfgeigenhansel oder Fidel Michel. Auch die Biermösl Blasn, die es jetzt schon nicht mehr gibt, waren schon einige Jährchen mit ihrer aufsässigen, kabarettistischen Folklore-Version unterwegs. Hier erfährt man aber, dass auch drei Schwestern der Well-Brüder als „Wellküren“ die Bühnen kabarettistisch unsicher machen.
Solche Funde machen die musikalische Reise kurzweilig und amüsant. Hayden Chisholm ist nicht bloß Beobachter oder Zuhörer, sondern mischt sich mit seinem Tenorsaxophon ein. Nur die hundert chinesischen Jugendlichen mit ihrer schrägen Interpretation deutscher Kinderlieder bestaunt er aus der Ferne. Auf ihre Kosten kommen sowohl Traditionalisten wie Modernisten. So findet Chisholm in Köln sowohl traditionelle rheinische Kneipengesangskunst bei den „Singenden Holundern“ wie auch bei einer Band mit dem schönen Namen „BamBam Babylon Bajasch“ den Versuch, alte Lieder, in diesem Fall Lieder der Edelweißpiraten, heutig zu interpretieren. Hier das romantische „Ännchen von Tharau“ vom Gewandhauschor, der Jodelkurs im Allgäu oder das erzgebirgische „Der Steiger kommt“. Dort eine Rocksängerin wie Bobo, die Volkslieder avantgardistisch interpretiert oder die Musiker von „Antistadl“. Die spielen Volksmusik abseits der CSU und schreiben sie deshalb auch Volxmusik. Die neuen Versionen der Volksmusik machen insgesamt deutlich mehr Spaß, so wie etwa die Antistadl-Version „Die böse Forelle“, bei der Schubert so schön durch die Mangel der Weltkultur gedreht wird, dass er seine Freude dran gehabt hätte.
Sich bewusst werden, was Singen bedeuten kann, als Gefühlsausdruck, als Gemeinschaftserlebnis – dafür plädiert der Film und gibt am Ende dem Protagonisten einen schwer ironischen Schlussauftritt: ein Neuseeländer in Lederhosen, der auf einer Alm auf einem Dudelsack ein romantisches deutsches Abschiedslied spielt – das ist dann doch so etwas wie eine Dreifachportion Schwarzwälder Kirsch nach einem lockeren und gut verdaulichen Menu.