mal wieder gesagt werden muss, wie notwendig gerade in diesen krisenhaften und verwirrenden Zeiten das Genre des Dokumentarfilms als Medium des Zweiten Blicks und des Langen Atems, als Weg zum Verständnis der Welt in ihrer Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit. Die Nachrichtenbilder etwa vom Zug der Flüchtlinge über den Balkan mögen uns über den Stand des Tages informieren, über die Schicksale der Menschen erzählen sie uns nichts. Das können z.B. Filme wie „Aus meinem syrischen Zimmer“ oder „Homs – Ende eines Traums“, die in dieser Woche im TV laufen.
Aber sie laufen wie üblich zu später, sehr später Stunde. Nach wie vor führt der Dokumentarfilm im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein Schattendasein und wird von den Programmmachern gescheut. Im ZDF hat das Genre gar keinen Sendeplatz, in der ARD höchst selten, die Dritten wissen vor lauter Regionalisierung gar nicht, was sie mit großen Themen anfangen sollen – bleiben Arte und 3Sat und als Wiederholungssender ZDF-Kultur, der aber 2016 eingestellt wird. Wie dringend nötig eine Aufwertung des Genres wäre, hat die Arte-Redakteurin im WDR und Professorin an der Kölner Kunsthochschule kürzlich in einem leidenschaftlichen Plädoyer vorgetragen. Wir drucken ihre Rede ab.
Welch wichtige Funktion Dokumentarfilm spielen kann, zeigt die Geschichte von Leni Riefenstahls Film „Tiefland“. In diesem Film 1944 gedrehten Spielfilm hat die Nazi-Regisseurin Sinti aus dem KZ Salzburg-Maxglan als Komparsen eingesetzt. Über diese Geschichte wiederum hat vor 33 Jahren die Dokumentaristin Nina Gladitz einen Dokumentarfilm gedreht: „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“. Der Film wurde von Leni Riefenstahl heftigst attackiert und wegen eines kleinen Fehlers der Regisseurin gelang es, die Ausstrahlung des Film zu verhindern. Zwar bekam Nina Gladitz vor Gericht in drei von vier Punkten recht, aber ihr Film wurde nur einmal ausgestrahlt, danach gesperrt. Er steht seither noch immer im Giftschrank des WDR, mit Folgen für die Dokumentaristin. Die Journalistin Petra Sorge griff nun diese Medienaffäre auf und verweist darauf, dass der WDR sich nicht nur nicht am Verfahren beteiligte, sondern danach seine Autorin auch fallen ließ. Nina Gladitz habe weder im WDR noch sonst in einem ARD-Sender mehr Aufträge erhalten. Nachzulesen in der Novemberausgabe von „Cicero“. Und vor allem auch deshalb von Bedeutung, weil etwa in einer TV-Dokumentation über Leni Riefenstahl die Ereignisse um „Tiefland“ nicht vorkamen. Und ob das Thema im geplanten Filmprojekt über Leni Riefenstahl aus Nico Hofmanns Zeitgeschichts-TV vorkommt, wird man auch sehen müssen.
Personen der Zeitgeschichte sind immer wieder auch Thema von großen Dokumentarfilmen. In dieser Woche „Malala – ihr Recht auf Bildung“ von Davis Guggenheim. In einem interessanten Interview in der SZ wurde der Regisseur gefragt, ob es nicht schwierig sei, Distanz zu wahren, wenn man so lange Zeit mit einer Familie verbringe. Die Antwort:“„Ich wahre ja keine Distanz. Für Journalisten ist das sicher sehr wichtig, aber als Filmemacher ist es meine Aufgabe, so nahe wie möglich heranzukommen. Ich will etwas fühlen, und dass das Publikum dasselbe fühlt, wenn es meinen Film sieht.“ Eine für gegenwärtig dominierende Auffassungen unter Dokumentaristen typische Antwort: es zählen nur noch die Emotionen, die man beim Publikum hervorrufen will. Für den Dokumentarfilm „Amy“ etwa könnte genau die gleiche Antwort gelten. Zentrale Fragen des filmischen Porträts, wie etwa die nach der Balance von Nähe und Distanz, nach der schwierigen Form des Porträts, das ja auch eine Anmaßung ist, das Bild eines anderen Menschen zu entwerfen, zählen nicht. Es zählt mit der Konzentration auf die Einfühlung des Publikums: der Effekt.