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„Der Freund und der Fremde“. Von Uwe Timm und Rolf Bergmann

Das Bild des toten Benno Ohnesorg ist zu einer Ikone geworden, das Schlüsselbild für den Aufstand der Studenten und für die Bewegung der 68er. Der Schriftsteller Uwe Timm hat Benno Ohnesorg gekannt, sie waren über einen kurzen gemeinsamen Weg Freunde. Darüber hat Uwe Timm ein Buch geschrieben und 2008 auch einen Film gedreht. (ARD Alpha, So 11.10.2015, 22.15)
Als Benno Ohnesorg 1959 in das Braunschweiger Kolleg aufgenommen werden wollte, um auf dem zweiten Bildungsweg Abitur und Hochschulreife nachzuholen, schrieb eine Psychologin in ihrem Gutachten: „Er hat durchaus Ansätze, jemand zu werden, der nicht alltäglich ist. Ohnesorg wird empfohlen“. Er sollte nicht mehr ausreichend Zeit haben, ein Nichtalltäglicher zu werden. Er wurde statt dessen als Toter eine der bekanntesten Gestalten bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte. Da ist ebenso tragisch wie es absurd ist, dass die gleiche Professorin zehn Jahre später im Gerichtsverfahren das psychologische Gutachten über Anton Kurras anfertigte, den Polizisten, der Benno Ohnesorg erschoss.

Von diesen merkwürdigen Umständen wüssten wir nichts, hätte nicht der Schriftsteller Uwe Timm 2005 seine Erzählung „Der Freund und der Fremde“ veröffentlicht. Es erzählt die Geschichte einer Freundschaft. Uwe Timm und Benno Ohnesorg waren Freunde an jenem Braunschweiger Kolleg. Beide suchten ihren Weg aus der Enge der vorgezeichneten Lebenspfade. Timm hatte das Kürschnergeschäft seines Vaters übernehmen sollen, Ohnesorg hatte Schaufenstergestalter gelernt. Das Kolleg, von dem ein Klassenkamerad sagt, hier hätte man „eine Ahnung vom eigenen Entwurf bekommen“, eröffnete eine Bildungskarriere in der Adenauergesellschaft. Beide interessierten sich für Kunst und Literatur, beide schrieben und zeigten sich ihre Gedichte. Benno Ohnesorg war Uwe Timms erster Leser. Später trennten sich ihre Wege, Timm ging nach München, Ohnesorg nach Berlin. Sie sahen sich nie wieder.

Uwe Timms Erzählung ist keine biographisches Buch im engeren Sinn, sondern ein Arrangement von Erinnerungen. So ist auch der Film: keine biographische Recherche, eher ein Geflecht von Erinnerungen, Erinnerungsbruchstücken und Verweisen. Der Film erzählt nicht die Geschichte hinter dem berühmten, zur Ikone geronnen Bild des sterbenden Benno Ohnesorg. Er erzählt vielmehr eine andere, eine eigene Geschichte, entwirft ein anderes, vor allem sprachliches Bild, die Selbstreflexion des Autors inbegriffen. Der Film bewahrt den literarischen Gestus des Buchs, formt ihn in einen erzählerischen Kommentar (gesprochen von Gottfried John) und assoziative Bildfolgen um, umkreist Person, Erzähler und Zeit und stellt Verbindungen zwischen ihnen her. Uwe Timm selbst kommt gelegentlich im Bild vor, er trifft Freunde aus dem Kolleg oder spricht mit Friederike Hausmann, der Frau, die auf dem Foto den Kopf des Sterbenden hält. Zentrales Thema von Buch und Film aber ist in der literarischen Erinnerungsarbeit die Rekonstruktion von Gefühlslage und Zeitgeist. Darin freilich ist das Buch dem Film überlegen. Die Sprache ist hier ein tauglicheres Werkzeug als die Welt der ungefähren Bilder, aus der Rolf Bergmann immer wieder assoziatives Filmmaterial dem Erzähler zumontiert, ohne wirklichen ästhetischen Mehrwert damit zu erzielen.

„Erinnern führt ins Innere“ heißt es einmal in Timm’s Erzählung und das kann man auch auf das Gesellschaftliche beziehen. Im kurzen Kreuzungspunkt der beiden Biographien finden sich Motive, die weiterspielen in die geistigen Beweggründe der 68er. So etwa die Verbindung zum französischen Existenzialismus, an dessen Lebensgefühl die Generation der intellektuellen 68er teilhatten: Bindungslosigkeit, Gleichmut, Abkehr von der Konvention. Die gemeinsame Lektüre von Albert Camus’ Erzählung „Der Fremde“ ist hier ein Schlüsselmotiv. Es ist mehr als literarische Koketterie, wenn der Film (und die Erzählung) daraus zitiert: »Ein Zufall. Der Schuss ist so sinnlos wie der Tod, wie es die Welt ist. Die Welt ist, wie sie ist.“ So absurd und zufällig empfindet der Erzähler Timm auch den Tod des fremd gewordenen Freundes.

Das zur Ikone erstarrte Bild ist jedoch auch Ausgangs- und Endpunkt des Films. Timm und Bergmann stellen die Frage, weshalb es überhaupt zur Ikone werden konnte. Am Abend des 2. Juni hatte die Polizei zunächst behauptet, der „Rädelsführer Ohnesorg“ sei erschossen worden, er habe Zivilbeamte angegriffen. Dann stellte sich heraus, dass Benno Ohnesorg politisch nicht engagiert war. Man hat über ihn gesagt, hören wir den Erzähler Timm, er sei „keiner der Krawallbrüder“ gewesen. Das habe sein Bild als Opfer noch verstärkt und sein Tod konnte als Beweis genommen werden für autoritäre und, wie man damals dachte, faschistische Tendenzen der Staatsmacht. Der Film ist auch kein retrospektiver Krawallmacher. Mitten im medialen Erinnerungsgetöse ist „Der Freund und der Fremde“ vielleicht nicht der am leichtesten zugängliche, aber einer der nachdenklichsten.

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