Permalink

0

Auf den Spuren der eigenen Geschichte

Noch zu sehen sind die beiden Dokumentarfilme. „Meine Mutter, ein Krieg und ich“ (noch einige Tage in der Arte-Mediathek) und „Titos Brille“, seit  dem 11.12. im Kino. Beide behandeln das gleiche Thema, die Suche nach der eigenen Geschichte, sind sehr verschieden und wollten doch am Ende das Gleiche.

„Meine Mutter, ein Krieg und ich“ von Tamara Trampe und Johann Feindt führt zurück in den zweiten Weltkrieg und die Ukraine. Tamara Trampe ist Filmemacherin, sie kam in einem Schützengraben zur Welt und sie sucht nach ihrer Geschichte. Zwei Jahre vor dem Tod ihrer Mutter hat die Regisseurin mit ihr noch ein Interview vor der Kamera geführt und darin auch die Frage nach dem Vater gestellt. Die Mutter antwortet abweichend. Der Vater war Kommissar, geliebt will sie ihn nicht haben, nur Respekt sei da gewesen. Er war Kommissar der Roten Armee, überdies verheiratet und vierfacher Vater, wurde nach der Affäre versetzt und verschwand. Ob es Liebe im Krieg gebe, will die Filmemacherin wissen.

Diese Frage stellt sie auch Menschen, die wie ihre Mutter im Krieg gelebt haben. Die alten Frauen haben noch ihre Uniformjacken im Schrank mit den vielen Orden, sie ziehen sie auch an vor der Kamera und es ist nichts Anrüchiges daran. Es hängen Leben und Tod und Überleben dran, nicht irgendwelche, sondern existenzielle Geschichten. Und da ist man auch schon mittendrin in der Erinnerung, aber die ist, wie immer: sehr verblasst. Eine der alten Frauen kann sich vor der Kamera an vieles nicht mehr erinnern, sie hadert mit dem Verlust und macht ein böses Gesicht. Aber das weiß sie: Liebe an der Front hat es nicht gegeben. Und dann sprechen die Frauen über Leben, Überleben, über den Kampf.

Mit diesen Erinnerungen ist es wie mit den Fotos, die Tamara Tampe hervorholt: vergilbt, teilweise zerstört, an den Rändern eingerissen. Was genau sie uns wissen lassen wollen, was ihre Perspektive ist, weiß man nicht immer zu sagen. Andererseits: man sieht hier Menschen, die einmal jung waren , lebenshungrig und schön, die ihr Leben dem Krieg überantwortet haben. Man sieht in diesen Gesichtern die gestohlenen Jahre.

Am Ende führt diese Spurensuche nicht an den Ort, wo die TV-Historiker sich gerne aufhalten, wo sie nach bewährten Mustern alles in 45 Minuten klar machen. Nichts  hier in diesem Film ist einfach, abgerundet, abgeklärt. Hier ist Freude und Trauer, Erinnerung und Vergessen, gelebtes und verpasstes Leben, gewonnener und verlorener Mut. http://www.meinemuttereinkriegundich.de/

 (Arte, Mo 8.12.2014, 23.30 – 00.50 Uhr, noch einige wenige Tage in der arte-Mediathek )

 

Völlig anders und doch vergleichbar ist „Titos Brille“ von Regina Schilling. Sie erzählt nicht ihre Geschichte, sondern die der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Adriana Altaras. Die geht ihrer Familiengeschichte nach, wie sie es einige Jahre zuvor schon in einem Buch getan hat. In diesem Sinn handelt es sich um eine Nachverfilmung, eine Sekundärverwertung und das hätte auch ziemlich schief gehen können. Ist es aber nicht. Weil die Protagonistin eine Figur ist, die über erheblichen Mutterwitz verfügt, jüdischen Witz, über die Gabe verfügt, sich selbst ironisch zu sehen. Weil sie auch eine ist, die nicht alles akzeptiert, was ihr die Geschichte des 20. Jahrhunderts in den Lebenslauf gelegt hat und die doch am Ende davor kapitulieren muss.

Die Filmemacherin begleitet ihre Protagonistin auf eine Reise durch Europa, in den Balkan, auf eine Reise durch die Zeit, entlang der Stationen einer Familie. Erst nach Gießen, wo der Vater ein berühmter Chirurg war, dem man ein absurdes Denkmal in Erinnerung an die Technik der Darmspiegelung hingestellt hat. Dann in die Länder des ehemaligen Jugoslawien, wo ihre Eltern herkommen und wo sie die wichtigste Zeit ihres Lebens als Partisanen verbracht haben und gegen die faschistische Ustascha kämpften.

Aus dieser Zeit stammt auch der Titel des Films. Der Vater hat immer erzählt, dass er Leibarzt von Tito gewesen war und dass er ihm einmal eine zerbrochene Brille repariert hat. Bis die Autorin entdeckt, dass Tito zu dieser Zeit gar keine Brille getragen hat. Es geht also auch um Familienlegenden. Wahrheiten, Hoffnungen, Träume, Realitäten und  bittere Entscheidungen, das ist der Stoff, aus dem Erzählungen von Adriana Altaras sind. Auch wenn die Autorin sich gern vor der Kamera sieht und aus ihrer Profession heraus natürlich auch weiß, wie man sich davor wirkungsvoll bewegt, verfügt sie dennoch über genügend  Distanz, dass aus dieser Familiengeschichte ein historisches Bild auftaucht, voller Widersprüche, Verwerfungen, Brüche.

Über den Szenen liegt die Melodie des alten Partisanenlieds „Bella Ciao“, in der optimistischen Version der Partisanenzeit und der melancholischen der Gegenwart. Und mitten im Akt der Befreiung von den elterlichen Heldenlegenden ist jener Moment besonders intensiv, als die Protagonistin auf dem Gelände des Konzentrationslagers auf der Insel Rab sitzt, wo ihre Mutter inhaftiert war. Da hat der jüdische Witz keinen Platz mehr, es ist eine Zeit für Tränen und Einsicht in die Unumkehrbarkeit des Lebens.

Das alles ist ungemein schön erzählt, ironisch, traurig, bewegend. Auch im Treffen mit alten Freunden der Familie und ihren diversen Erinnerungen, wird Geschichte sichtbar als etwas, das mehr Trümmerfeld ist als ordentlicher Verlauf, mehr Fragment als komplettes Bild. Unbedingt ansehen. Seit dem 11.12. im Kino.

http://www.titosbrille.x-verleih.de/

 

 

 

Kommentare sind geschlossen.