Eine der neueren interessanten Innovationen im Grenzgebiet von Netz und Fernsehen ist die Videoplattform dbate.de, die Anfang November online gegangen ist. Sie wurde als eine Art Labor gegründet von Stephan Lamby, der als Geschäftsführer der Hamburger Produk-tionsfirma Eco Media sich mit politischen Dokumentationen und Interviews einen Namen gemacht hat; er wurde dafür und im Oktober mit dem Hanns-Joachim Friedrich-Preis für Fernsehjournalismus ausgezeichnet. Ein Interview.
Die Videoplattform dbate.de ist am 11.11. 2014 gestartet. Eine erste Durchsicht der Fil-me ergibt: Die einzelnen Produktionen sind sehr unterschiedlich. Die Episoden von „Das Mount-Everest-Problem“ zum Beispiel wirken sehr inhomogen im Material und dramatur-gisch unklar. „Die Episoden dagegen von „Mein Leben im All“ mit dem Astronauten Christ Hadfield sehr homogen. Vermutlich, weil sie schon in Hinblick auf die Publikation gedreht wurde, oder?
Nein, Chris Hadfield hat immer nur einzelne Sekunden oder Minuten an die Erde gefunkt. Er hatte nicht die Idee, dass daraus eine Doku werden sollte. Diese Idee hatten wir. Ich habe ihn auf einem Vortrag in Kanada erlebt und war fasziniert, wie klar und verständlich er über seine Erlebnisse im All berichtet hat. Dann haben wir dbate.de entwickelt und ich dachte, das könnte ein gutes Projekt dafür sein
Vielleicht liegt es in diesem Fall an der Einheit des Ortes. Das wirkt sehr kompakt und sehr flüssig. Das Material aus dem Himalaya ist viel heterogener.
Wir nutzen eben in aller Regel auch Material aus unterschiedlichen Quellen. Die Sicht der einzelnen Bergsteiger, die auf den Gipfel wollen, ist sehr unterschiedlich, die Qualität der Bilder auch. Das wird bei vielen Projekten der Fall sein. Wir haben zum Beispiel gerade einen Film über Reisen westlicher Touristen durch Nordkorea fertiggestellt. Uns interes-siert, wie diese jungen Leute auf dieses Land blicken und kontrastieren ihre unterschied-lichen Blickweisen. Wir gehen dabei anders vor als bei unserer klassischen Fernseharbeit. Videoblogger, also Amateure, haben ja einen anderen Blick als professionelle Reporter vor Ort. Oder als ein Vice-Reporter, der natürlich zunächst die Sensation sucht. Die Vi-deotagebücher sind etwas leiser, der Blick eher alltäglich. Das ist aber genauso relevant.
Wie wird dieser Film gezeigt?
Wir zeigen ihn auf dbate.de, zunächst in vier oder fünf Episoden. Danach kann man auch den ganzen 45-Minuten-Film sehen. Der Film wird in diesen Tagen in ganzer Länge auch bei ZDF-Info ausgestrahlt.
Kann man sagen, dass das Episodische ein Prinzip für dokumentarisches Arbeiten im In-ternet ist?
Die Idee bei dbate.de ist immer, einen Film zunächst in Episoden zu zeigen. Wir bauen immer einen langen 30- oder 45-Minuten-Film mit entsprechenden dramaturgischen Bögen und überlegen dann, wie wir ihn sinnvoll in Episoden teilen können. Wir haben auch Projekte, die einfach von sich aus kurz sind. Etwa der Film, in dem zwei junge Frauen aus Donezk ihre bombardierte Nachbarschaft mit der Handykamera gefilmt haben. Wir hatten das Gefühl, wir könnten auch in acht Minuten erzählen, worum es da geht. Aber das kauft uns natürlich kein Fernsehsender ab. Wir fanden dieses Video trotzdem wichtig und wollten es auch nicht künstlich strecken. Wir haben jedenfalls bei unseren Projekten aus dem Frühjahr, etwa bei „My Revolution – Videotagebuch aus Kiev“, die Erfahrung gemacht, dass die durchschnittliche Verweildauer der User sechs, sieben Minuten lang ist. Zapper im Fernsehen bleiben übrigens auch nicht viel länger. Fernsehen funktioniert ja nach einem strengen Programmschema, im Internet ist das ganz anders. Mir scheint hier die kurze episodische Form adäquater. Wer die lange Form sehen will, bekommt sie auf dbate.de auch, dann eben zwei, drei Wochen später. Oder bei den Fernsehsendern, mit denen wir kooperieren – also vor allem WDR und ZDFinfo. Das Episodische liegt auch im Wesen des sozialen Netzwerkes. Wenn jemand etwas gesehen hat, das ihm gefällt, postet er das und empfiehlt es seinen Freunden weiter. Die kommen dann ein, zwei Tage später, zur nächsten Episode. Sie greifen auch manchmal auf den ersten Teil zurück, obwohl der schon ins Archiv gewandert ist. Das ist ein gutes Zeichen.
Und die Sender übernehmen dann die lange Version unverändert?
Da gibt es sehr unterschiedliche Formen – vom Lizenzankauf bis zur Auftragsproduktion. In der Regel entstehen gemeinsame Projekte. Wir haben zum Beispiel mit dem WDR eine Staffel mit dem Arbeitstitel „Confessions im Netz“ vereinbart, über Selbstauskünfte krebskranker Menschen, Körperkult im Internet u.ä.. Das wird voraussichtlich im Frühjahr ausgestrahlt. Und dann gibt es die eher politischen Filme für ZDFinfo. Da nehmen wir dann das Material noch einmal in die Hand und bereiten es auf. Auf dbate.de zeigen wir Filme meist mit Untertiteln. Für das Fernsehen setzen wir Voice-over ein. ZDF Info möchte gelegentlich auch noch einen Kommentartext haben, um den Zuschauern zusätzliche Orientierung zu geben. Bei dbate.de brauchen wir das nicht unbedingt, da ist die reinere Form besser..
In welche Richtung soll dbate.de sich entwickeln. Wo könnte das Portal in zwei Jahren stehen?
Wir sind fest davon überzeugt, dass im Internet nicht nur Trallalala Platz hat. Das Internet ist so breit und vielfältig, dass auch Platz für ernsthaften Journalismus ist – was Bewegtbild betrifft. Wir wollen Formen entwickeln, die für das Internet adäquat sind, mit Material aus dem Internet für das Internet. Wir wollen eine Community aufbauen, die hier die Geschichten hinter den Nachrichten sucht, wie man sie im Fernsehen nicht jeden Tag zu sehen bekommt. Die Themen sind oft andere als im Fernsehen und die Erzählformen auch. Das wollen wir etablieren.
Sie haben für dbate.de mehrere Formate eingesetzt, die Videotagebücher zum Beispiel, den Skype-Talk – wie werden sie angenommen?
Es zeichnet sich ab, dass Bild etwas besser angenommen wird als Wort, also die Videota-gebücher etwas besser als Skype-Talk. Aber wir machen auch sehr gute Erfahrungen zum Beispiel mit einem Gespräch mit Alexander Kluge. Das dauert 30 Minuten und da ist noch nicht mal eine klassische Kamera im Einsatz. Zwei Menschen sitzen an ihren Laptops, der eine in München, der andere in Hamburg, sie skypen und reden. Das ist die kargste Form, die vorstellbar ist.
Das ist aber auch nicht die eleganteste Form.
Nein, überhaupt nicht. Sie ist ziemlich spröde. Aber sie ist intensiv. Man kann gar nicht ausweichen. Es gibt kein Kamerateam, das ablenkt. Es bleibt bei einer einzigen Einstellung. Es geht wirklich nur ums Wort – und um Mimik. Trotz der räumlichen Entfernung ist das sehr nah, manchmal intim.
Das Videoportal heißt dbate.de – wird denn debattiert? Wie können die User sich einmi-schen, mit debattieren?
Wir wollen, dass die User ernsthaft diskutieren. Wir haben deshalb eine Hürde eingebaut, man muss sich erst bei Disqus anmelden. Da melden sich dann zwar nicht Millionen Men-schen zu Wort, dafür aber Leute, die etwas zu sagen haben. Wir sind nicht nur an Klicks interessiert, wir wollen ernsthafte Debatten haben. Wir können auch, anders als im Fern-sehen, Themenschwerpunkte setzen. Z.B. haben wir anlässlich unserer ARD-Dokumentation „Die geheime Macht von Google“ fünf Skype-Interviews zum Thema „Google“ eingestellt – pro wie contra Bei den Themen „Terrorvideos zeigen?“ oder „Ster-behilfe“ hatten wir Streitgespräche – zwei Menschen diskutieren miteinander – ohne Mo-derator. So etwas gibt es im Fernsehen nicht, es sei denn sie heißen Augstein und Blome.
Wie funktioniert das Geschäftsmodell von dbate.de?
Wir bauen wirtschaftlich auf zwei Säulen auf. Wir verkaufen Werbung und wir verkaufen Nutzungsrechte. Die Werbung steckt noch in den Kinderschuhen, weil sie von den Klick-zahlen abhängt. Sehr gut entwickelt hat sich das Interesse der Sender. Wir haben jetzt zwei sehr gute Partner, WDR und ZDF-Info, die mehrere Filme von uns gekauft haben. Und es gibt weitere gute Gespräche. Wir kooperieren auch mit Spiegel.TV, dem Websen-der auf SPIEGELOnline. Mit den Erlösen finanzieren wir die Formate, die wir nicht ans Fernsehen verkaufen können wie Skype-Talks oder die Kolumnen. Die Querfinanzierung funktioniert, das kommende Jahr wird wirtschaftlich erfolgreich.
Bei dbate.de fallen aber auch Autorenhonorare weg. Die Blogger werden für ihre Beiträge nicht bezahlt.
Das ist nicht ganz richtig. Wenn wir Videotagebücher an Sender verkaufen, dann zahlen wir häufig auch Honorare an Videoblogger. Das hängt von der Qualität des Materials ab, der Menge und vom Interesse der Videoblogger. Viele stellen uns das Material zur Verfü-gung, weil ihnen gefällt, dass es in einem größeren, ernsthaften Film vorkommt. Andere haben auch kommerzielle Gründe. Unsere Position dazu ist: Solange das Material nur im Internet gezeigt wird, haben wir keinen Etat dafür. Wenn es dann im Fernsehen gezeigt wird, gibt es einen Etat. Dann honorieren wir hier und da.
Das kann sich aber ändern. Was, wenn die Videoblogger auch Geld sehen wollen?
Wir sind im Moment, soweit ich das überblicken kann, so ziemlich die einzigen, die solche Videotagebüchern produzieren und zeigen. Da kann man noch nicht von einem Markt sprechen. In Deutschland gibt es nur dbate.de als Videoplattform mit diesem journalisti-schen Anspruch, Vice tickt etwas anders. Gäbe es noch zehn oder zwanzig andere solcher Plattformen, was ich im Moment nicht sehe, dann hätten wir eine Wettbewerbssituation, die Videoblogger für sich nutzen könnten. Kann sein, dass das eines Tages so kommt. Ich würde das übrigens begrüßen. Und: Wir beschäftigen ja Autoren und Producer, eine Her-stellungsleiterin, Cutter usw. Und bei den Videotagebüchern, die wir für Fernsehsender bearbeiten, arbeiten wir zusätzlich mit freien Autoren zusammen, die wir natürlich alle bezahlen.
Sie arbeiten mit drei festen Autoren in der Redaktion, deren Namen auch im Abspann der Filme stehen. Was ist die Rolle dieser Autoren zu verstehen? Sind sie nicht mehr Samm-ler und Forscher als Regisseur?
Sie sichten, sammeln, nehmen Kontakt auf – das ist sicher eine wichtige Rolle. Aber zu den Kernaufgaben gehört auch die Auswahl. Man muss das Wichtige vom Unwichtigen trennen. Die Autoren sind auch Gestalter, genauso, wie wenn sie nach einem Dreh mit Bändern oder Discs in die Redaktion kommen. Und sie stehen am Ende mit ihrem Namen für das Produkt gerade.
Wenn man sich auf dem youtube-Kanal von dbate.de durchklickt, stößt man auf einen Teaser für eine Reihe unter dem Titel „Mein Liebesleben“ – worum wird es dabei gehen?
Es handelt sich um einen Film von voraussichtlich 75-Minuten für den WDR. Der Sender und wir wollen den Film in diesem langen Format. Wir werden einen gemeinsamen Auftritt haben und dbate.de wird ihn wieder in Episoden zeigen. Es geht darin um das Liebesleben in verschiedenen Kulturkreisen, in Japan, Indien, Deutschland und Nordamerika. Es geht vorwiegend um junge Menschen, ihr Liebesleben, ihre Sexualität, die Beziehungen der Geschlechter untereinander und die Frage, wie stellen sie sich im Internet dar und wie werden sie vom Internet geprägt? Wir werden wahrscheinlich auch noch in jedem Land einen eigenen Kamermann bitten, für uns zusätzliche Aufnahmen zu machen. Aber im Kern geht es darum, wie sich junge Leute mit diesem Thema im Internet präsentieren. Also recherchieren wir im Netz und nehmen Kontakt mit Videobloggern auf. Teilweise bitten wir sie, das Thema noch zu vertiefen. Aber wir wollen das nicht durch unsere Perspektive aus Hamburg einengen, wir wollen einen weitgehend unverfälschten Blick. Das führt dann zu sehr unterschiedlichen Sichtweisen, Bildern und O-Tönen. Hier etwa Indien, wo viel mehr Männer als Frauen leben, wo die Vergewaltigungen sich enorm auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern auswirken;. Und dann die USA, wo sowohl exzessive Springbreak-Parties stattfinden wie auch die Gegenbewegung „No Sex before Marriage“ sich formiert. Wie passt das alles zusammen? Und welche Rolle spielt das Internet dabei? Welche neuen Idealbilder entstehen da?
Wenn man mit Quellen aus dem Internet arbeitet, stellt sich immer die Frage nach ihrer Seriosität. Wie verfährt dbat.de?
Selbstverständlich haben wir dieselbe Sorgfaltspflicht wie bei unseren Fernsehprodukti-onen. Ich leite Eco Media mit vielen politischen und investigativen Produktionen seit knapp 18 Jahren und wir sind Gott sei Dank noch nie auf die Nase gefallen. Man kann das nicht völlig ausschließen, aber das können auch klassische Fernsehjournalisten nicht.
Die Absicht ist klar, aber wie ist die Realität? Wie sichert ihr die journalistische Qualität?
Es gibt drei Punkte. Erstens schließen wir mit jedem Videoblogger einen Vertrag. Wir stellen sicher, wer das ist. Er muss uns schriftlich zusichern, dass das Material von ihm stammt und dass es authentisch ist. Wir müssen das auch wegen der Nutzungsrechte fürs Fernsehen wissen, aber auch bei dbate.de müssen wir natürlich sicher sein. Zweitens: Wir nutzen Material über wichtige Vorgänge, die wir aus mehreren Quellen dokumentieren können. Beispiel die Ereignisse auf dem Maidan. Da gab es so viele unterschiedliche Quellen und Videos von unterschiedlichen Menschen, die unabhängig voneinander gedreht haben, dass wir sicher sein konnten, dass das Material authentisch ist. Drittens: wir führen keine Videobeweise, sondern wir illustrieren Vorgänge, die aus anderen Quellen bekannt sind. Man kann das auch als die Grenze unserer Arbeitsweise bezeichnen. Wenn all diese Kriterien nicht greifen, dann nutzen wir das Material nicht. Ein Beispiel ist Syrien. Wir haben uns überlegt, den Syrienkonflikt zu thematisieren, aber es gab so viele unterschiedliche Interessengruppen und auch Propagandisten, dass wir die Finger davon gelassen haben. Das konnten wir nicht überblicken. Ich will nicht ausschließen, dass wir uns nicht doch noch einmal damit beschäftigen, aber dann nicht im Sinn der politischen Chronik eines Krieges, sondern aus der eher wenig politischen Perspektive einer Person, deren Alltag im Krieg wir nachzeichnen können.
Das heißt, diese Art zu arbeiten, ersetzt nicht die klassische journalistische Recherche?
Nein, überhaupt nicht. Der Großteil unserer Arbeit besteht in klassischer Recherche: In-formationen zusammentragen, gewichten, überprüfen, Quellen abgleichen, Kontakte her-stellen, auch Verträge schließen. Nochmal: wir führen keine Videobeweise, sondern wir illustrieren. 60 tote Bergsteiger im Himalaya in 2014 sind leider aktenkundig. Ein Astronaut, der auf der ISS war, ist aktenkundig. Dass Donezk beschossen wird, ist aktenkundig. Jetzt zeigen wir gerade einen Film über die Lage der Homosexuellen in Russland – wie deren Lage aussieht, ist aus vielen Quellen belegt. Wir erfinden ja keine Themen. Das Besondere bei uns ist die persönliche Sicht auf die Dinge. Aber immer ausgesucht, überprüft, gestaltet von uns Journalisten. Das macht den Unterschied.
Das Interview ist zuerst in epd-medien 51/52 vom 19.12.2014 erschienen.