Das Bild der sterbenden Neda ist um die Welt gegangen. Ebenso die Bilder der Demonstrationen in Teheran nach der Wahl 2009, die Ahmadinedschad an der Macht hielt und nach Meinung aller Beobachter gefälscht war. Viele Demonstranten trugen die Losung „Where is my vote?“ – ein Signalbild aus den Tagen des Aufruhrs. Ein eindringlicher politischer Film über die Ereignisse im Iran, mit dem Grimme-Preis 2011 ausgezeichnet.
Im Kino lief der Film vom Ali Samadi Ahadi unter dem Titel „The Green Wave“. Die etwas kürzere Fernsehfassung für Arte ist verglichen damit kaum weniger eindringlich. Der in Deutschland lebende iranische Filmemacher Ali Samadi Ahadi („Lost children“ und „Salami Aleikum“), mehrfach preisgekrönt, hat die dramatischen Ereignisse rekonstruiert und in einem ausdrucksstarken und bewegenden Film in unser flüchtiges Mediengedächtnis zurückgeholt.
In seiner Dramaturgie folgt der Film den politischen Ereignissen. Den großen Versammlungen der politischen Opposition, die auf den Kandidaten Mir Hussein Mussawi setzte. Die Hoffnung, die an den Wahlen klebte, überall im Iran. Dann die Nachricht, Ahmadinedschad sei Wahlsieger. Erste Berichte von Behinderungen in Wahllokalen, fehlenden Wahlscheinen einerseits, viel zu vielen Wahlscheinen für die Staatsmacht andererseits. Die Proteste gegen die Wahlen. Millionen Menschen auf dem Tajrij-Platz in Teheran. Dann die Attacken des Staates auf die Opposition. Die Staatsmacht greift zur Gewalt, schickt Militär, Polizei, Geheimdienst und Revolutionswächter los. Am Ende der brutalen Menschenrechtsverletzungen werden über hundert Menschen tot sein, Tausende verletzt, Tausende verhaftet.
Die Welt erfährt davon über Twitter, über Blogs und über Handybilder – die neuen Medien, die sich oppositionelle Bewegungen zunutze machen können. Aus genau diesen Materialien montiert Ahadi seinen Film. Die Bilder von der sterbenden Neda sind hoch verpixelt, kaum noch erkennbar. Immer wieder sehen wir teils unscharfe, teils verwackelte Szenen aus den Straßen Teherans, authentische Bilder, Prügelszenen, schießende Revolutionswächter, Scharfschützen auf den Dächern, Menschen, die auf den Straßen zusammenbrechen. Originaldokumente aus dem politischen Prozess sind eingeflochten.
Ahadi verspannt diese dokumentarischen Bilder in eine Erzählung zweier fiktiver Protagonisten, die demokratisch gesinnte Studenten verkörpern. Sie sind fiktiv, um real existierende Oppositionelle zu schützen. Es handelt sich aber auch um einen interessanten Kunstgriff, um Haltungen und Motive zu bündeln und zu verdichten. So kann der Autor die Sicht der damals Demonstrierenden auf das Geschehen formulieren. Auf die äußeren Ereignisse, aber vor allem auf die innere Resonanz darauf: auf Trauer, Schmerz, Zorn. Dazu greift der Regisseur auch zu dem Mittel, Szenen in animierten Sequenzen darzustellen. Etwa aus dem berüchtigten Gefängnis Kahrizak, wo die Inhaftierten tagelang gequält wurden und auch viele zu Tode kamen.
Die Berichte der beiden Figuren wiederum sind streng dokumentarisch. Sie zitieren aus diversen Blogs und getwitterten Texten. Knappe Berichte von den Ereignissen, aber auch Reflexionen des Geschehens und auch Texte von bitterer Poesie. „Für wenige Wochen“, zitiert eingangs der fiktive Student einen real geschriebenen Text, „für wenige Wochen hatten wir das Gefühl, unserem Ziel so nah gewesen zu sein wie nie zuvor .Heute schaue ich mir die blutverschmierten Wände an und befürchte, dass es nicht mehr war als eine Fata Morgana.“
Der Autor des Films freilich montiert nicht Bilder einer Fata Morgana, sondern einer sehr realen politischen Bewegung. Er spricht dazu auch mit Oppositionellen, die heute im Ausland leben, unter ihnen die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sehr souverän und dicht mischt der Regisseur seine erzählerischen Mittel. Mit den eindrucksvollen Animationen kann er das Geschehen stark verdichten. Sie treffen Stimmung und Dramatik des Geschehens genau, werden kontrapunktiert durch einen unpathetischen, nicht dramatisierenden Sound. Als Produkt auch wieder einmal ein Beweis, wie vital und wie erfindungsreich dokumentarischer Film sein kann.
Grimme-Preis 2011: Begründung der Jury:
Das Grün in Iran war aus dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit alsbald verschwunden. Andere Themen rückten im Sommer 2009 in der globalen Medienagenda auf. Dabei hat die „grüne Welle“ genannte Bewegung, die bei der Präsidentschaftswahl gewaltsam niedergeschlagen wurde, nicht vollends ihre Kraft eingebüßt. Präsident Ahmadinedschads Gegner gehen heute wieder auf die Straße. Warum setzen sie sich den Gefahren weiter aus? Der Deutsch-Iraner Ali Samadi Ahadi sucht nach Erklärungen, arbeitet Vergessenes wieder auf. Sein Film „Iran: Elections 2009“ ist journalistisch glänzend gemachtes Fernsehen, aber nicht nur. Er überzeugt auch visuell.
Aus der Not, keine realen Augenzeugen abbilden zu dürfen, macht Ali Samadi Ahadi einen: Comic. Er visualisiert in animierten Illustrationen, was die Netzwelt an Worten und Bildern über Irans Protesttage hergibt. Videos, Blogs und Tweets sind Ali Samadi Ahadis Quellen, die er in den fiktiven Biografien zweier Studenten verdichtet. Die Kunstfiguren Azadeh und Kaveh bringen einem den Schrecken des Wahlsommers nahe. Sie stehen exemplarisch für die sehr junge Gesellschaft der Islamischen Republik. Eine Gesellschaft, der das eigene Land, in Azadehs Worten, zum „Gefängnis“ geworden ist.
Die Ansprache des Films ist emotional und pathetisch, aber immer authentisch. Von Grausamkeiten ist zu hören. Die Trickbilder nehmen sich dagegen zurück. Ali Samadi Ahadi wählt nicht die ausschließliche Form des „Dokumentarfilms im Trickgewand“, wie es Ari Folman mit Waltz with Bashir vormachte. Er bittet Exiliraner fern ihrer Heimat zum Interview, damit sie berichten, analysieren, anklagen. Realmaterial und Animation sind klug montiert. Aus der Collage entsteht ein eindringliches Zeitgemälde, ein – Walter Kempowskis Echolot lässt grüßen – kollektives Tagebuch, das sich die Mittel moderner Kommunikation zunutze macht. Die neuen, die sozialen Medien werden hier fürs dokumentarische Fernsehen wegweisend umgesetzt. Und nicht zuletzt kann das alte Medium durch diese Collagetechnik auch ein jüngeres, an Politik eher uninteressiertes Publikum gewinnen.
Die Politik gibt unablässig den Stoff her für neue Filme. Nach den blutigen Junitagen trauen sich viele Iraner wieder zum offenen Protest, ermutigt durch die relativ friedlich verlaufenden Demonstrationen und Umwälzungen in Tunesien und Ägypten. Die politische Landkarte in Nordafrika und Nahost wird gerade dramatisch neu geordnet. Das Fernsehen muss diesen Prozess begleiten. Wie man es hervorragend machen kann, beweist „Iran: Elections 2009“.